Gespräche in Ankara

Merz bei Erdogan: Als es um Gaza geht, wird es kurz hitzig

Aktualisiert:

von Christopher Schmitt

Bundeskanzler Merz (l.) und der türkische Präsident Erdogan haben in Ankara vor allem über brisante außenpolitische Themen gesprochen.

Bild: Michael Kappeler/dpa


Beim Antrittsbesuch in Ankara wirbt Kanzler Merz für engere Beziehungen und Unterstützung beim EU-Kurs der Türkei. Differenzen mit Präsident Erdogan gibt es beim Thema Gaza und der Rechtsstaatlichkeit.

Das Wichtigste in Kürze

  • Merz lobt in Ankara die engen deutsch-türkischen Beziehungen und bietet eine Vertiefung der Partnerschaft an.

  • Er unterstützt Ankaras EU-Kurs, mahnt aber Rechtsstaatlichkeit an.

  • Beim Gaza-Krieg gerät er mit Erdogan aneinander.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat bei seinem Antrittsbesuch in der Türkei die Verbindungen zwischen beiden Ländern als "wertvoll" und "in einer einzigartigen Weise breit und tief" bezeichnet. Der CDU-Politiker betonte nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Rolle der als sogenannte Gastarbeiter:innen nach Deutschland gekommenen Menschen aus der Türkei. "Ohne diese Menschen und ohne diese Familien hätte Deutschland vor 60 Jahren den wirtschaftlichen Aufschwung nicht so beginnen können, wie wir ihn begonnen haben."

Merz sprach von einem großen Nutzen für beide Seiten und verwies auf heute rund 80.000 türkisch-stämmige Unternehmen, die für ungefähr 400.000 Arbeitsplätze in Deutschland sorgten. Auch Erdogan würdigte den Beitrag, den türkischstämmige Menschen in Deutschland geleistet hätten. Merz bedankte sich bei Erdogan für einen freundlichen und freundschaftlichen Empfang.

Merz bot dabei der Türkei eine Vertiefung der beiderseitigen Beziehungen an. "Als Deutsche und als Europäer müssen wir unsere strategischen Partnerschaften ausbauen. Und dabei führt kein Weg an einer guten und vertieften Partnerschaft mit der Türkei vorbei", sagte er. "Lassen Sie uns das enorme Potenzial unserer Beziehungen in den kommenden Monaten und Jahren noch besser nutzen", sagte Merz.

Unterstützung für Ankaras EU-Beitrittswunsch

Merz sicherte Erdogan deutsche Unterstützung bei der angestrebten EU-Mitgliedschaft der Türkei zu. "Ich sehe persönlich und die Bundesregierung sieht die Türkei eng an der Seite der Europäischen Union. Wir wollen den Weg nach Europa weiter ebnen." Er setze sich auch für einen strategischen Dialog mit der Türkei auf europäischer Ebene ein.

Merz wies zugleich auf die Kopenhagener Kriterien für eine Aufnahme in die EU hin und sagte: "Es sind in der Türkei Entscheidungen getroffen worden, die noch nicht den Ansprüchen genügen im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, so wie wir sie aus der europäischen Sicht verstehen." Darüber sei man im Dialog.

Erdogan und Merz geraten über Gaza-Krieg aneinander

Erdogan und Merz gerieten aber auch auf offener Bühne über den Gaza-Krieg aneinander. Während Merz sich klar an die Seite Israels stellte, warf Erdogan dem Land bei einer gemeinsamen Pressekonferenz erneut "Völkermord" vor.

Israel habe trotz des Waffenstillstands wieder Ziele in Gaza angegriffen, sagte Erdogan in Ankara. "Sie greifen Gaza nicht nur an, sondern waren stets darauf bedacht, Gaza mit Hunger und Genozid gefügig zu machen und das dauert immer noch an."

Erdogan reagierte damit auf die Äußerung von Bundeskanzler Merz, der von einem türkischen Journalisten auf den Gaza-Krieg angesprochen sagte: Israel sei ein Zufluchtsort für Millionen Jüdinnen und Juden geworden
viele, die den Holocaust überlebt hätten. "Deswegen wird es immer so sein, dass Deutschland fest an der Seite des Staates Israel steht", so Merz.

Erdogan: Kann Merz nicht zustimmen

"Israel hat von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht und es hätte nur einer einzigen Entscheidung bedurft, um auch die zahllosen unnötigen Opfer zu vermeiden. Die Hamas hätte die Geiseln früher freilassen sollen und die Waffen niederlegen müssen. Dann wäre dieser Krieg sofort zu Ende gewesen", sagte der Bundeskanzler.

Erdogan sagte daraufhin, er könne Merz leider nicht zustimmen. Die Hamas habe keine Nuklearwaffen und keine Bomben, aber Israel verfüge über all diese Waffen und habe Gaza trotz des Waffenstillstands wieder bombardiert.

Die Türkei verfügt über gute Kontakte zur islamistischen Terrororganisation Hamas. Bei der Vermittlung der Waffenruhe im Gazastreifen vor gut zwei Wochen hatte Ankara eine wichtige Rolle gespielt.

Die damals besiegelte Waffenruhe ist inzwischen brüchig. Offen ist noch, wie die nächsten Schritte im Friedensprozess umgesetzt werden können. Dazu gehört unter anderem die Entwaffnung der islamistischen Hamas. Merz sagte: "Wir wünschen uns, dass die Türkei weiter auch ihre Möglichkeiten ausschöpft, etwa indem sie die Hamas dazu veranlasst, nun auch in die zweite Phase dieses Abkommens einzutreten."

Merz mahnt in Ankara Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien an

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Drucks auf Oppositionspolitiker in der Türkei hat Merz bei seinem Besuch in Ankara die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien angemahnt. In Gesprächen mit Erdogan habe er etwa Besorgnis über die Unabhängigkeit der Rechtsprechung geäußert, sagte Merz. Darüber spreche man miteinander.

Nach Einschätzungen von Menschenrechtler:innen hat der Druck auf unabhängige Medien, kritische Stimmen und Oppositionsparteien in der Türkei in den zurückliegenden Monaten einen neuen Höhepunkt erreicht.

Angesprochen auf die Inhaftierung des abgesetzten Istanbuler Bürgermeisters und populären Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu, verteidigte Erdogan das Vorgehen der Justiz: "Egal welches Amt man innehat, sobald jemand die Justiz mit Füßen tritt, müssen die Justizorgane in einem Rechtsstaat eben das tun, was notwendig ist."

Imamoglu war im März verhaftet und abgesetzt worden. Er ist seitdem ohne Anklage in Untersuchungshaft. Kurz vor dem Besuch des Bundeskanzlers war bekanntgeworden, dass gegen den Politiker der größten Oppositionspartei CHP erneut ein Haftbefehl erlassen wurde. Imamoglus Festnahme hatte die größte Protestwelle in der Türkei seit den Gezi-Protesten im Jahr 2013 ausgelöst.


Verwendete Quellen:

Nachrichtenagentur dpa

Mehr entdecken