Gasbrand breitet sich aus
Ukraine-Krieg: Tödliche Infektionskrankheit aus dem Ersten Weltkrieg kehrt zurück
Veröffentlicht:
von Max StrumbergerUnter ukrainischen Verwundeten breitet sich Gasbrand aus – eine tödliche Infektion, die einst im Ersten Weltkrieg wütete. (Symbolbild)
Bild: Anatolii Lysianskyi/Ukrainian 127th Separate Brigade/AP/dpa
Inmitten des Krieges in der Ukraine taucht ein medizinischer Albtraum aus der Vergangenheit wieder auf: Gasbrand. Die tödliche Infektion, die Muskelgewebe zerstört, breitet sich in den Schützengräben aus.
Das Wichtigste in Kürze
Der Krieg in der Ukraine bringt längst vergessene Schrecken zurück: In den Schützengräben breitet sich Gasbrand aus.
Dies ist eine tödliche Infektion, die einst im Ersten Weltkrieg wütete.
Verzögerte Evakuierungen und mangelnde medizinische Versorgung verschärfen die Situation dramatisch.
In den Schützengräben der Ukraine zeigt sich ein erschreckendes Bild, das an die düsteren Kapitel des Ersten Weltkriegs erinnert. Ukrainische Mediziner berichten von einer Wiederkehr des Gasbrandes, einer bakteriellen Infektion, die einst als Relikt vergangener Kriege galt. Diese Krankheit, die Muskelgewebe in rasender Geschwindigkeit zerstört, breitet sich aufgrund der brutalen Bedingungen des modernen Grabenkriegs erneut aus. "Wir sehen Verletzungskomplikationen, die kein lebender Mensch jemals zuvor im Krieg gesehen hat", erklärt Alex, ein ausländischer Freiwilliger und Sanitäter in der Region Saporischschja gegenüber dem britischen "Telegraph". "Solche verzögerten Evakuierungszeiten hat es in den letzten 50 Jahren nicht gegeben – wahrscheinlich seit dem Zweiten Weltkrieg, vielleicht sogar noch länger. Und wir sehen Pathologien, die wir noch nie zuvor gesehen haben."
Gasbrand wird durch Clostridium-Bakterien verursacht, die sich in sauerstoffarmen, abgestorbenen Geweben vermehren. Die Infektion führt zu starken Schmerzen, Schwellungen und einer Verfärbung des Gewebes. Die Patienten erleben ein knisterndes Gefühl unter der Haut, verursacht durch Gasblasen, die sich dort bilden. Anders als bei gewöhnlichem Wundbrand, der durch eine schlechte Durchblutung entsteht und langsamer fortschreitet, ist Gasbrand eine aggressive und lebensbedrohliche Erkrankung. Besonders gefährdet sind Soldaten mit tiefen Schuss- oder Explosionswunden, die aufgrund der verzögerten medizinischen Versorgung in den provisorischen Untergrundkliniken der Ukraine nicht rechtzeitig behandelt werden können. "Gasbrand ist etwas, das man in der Schule lernt… In der Ukraine sieht man es jedoch, weil Menschen mit solchen Verletzungen einfach nicht rechtzeitig versorgt werden können", so Alex.
Behandlung von Gasbrand ist äußerst schwierig
Die Behandlung von Gasbrand ist äußerst schwierig und oft mit ungewissem Ausgang verbunden. Selbst in den besten Krankenhäusern erfordert sie eine sofortige chirurgische Entfernung des infizierten Gewebes sowie hochdosierte intravenöse Antibiotika. "Es ist eine extrem lebensbedrohliche Infektion: Unbehandelt liegt die Sterblichkeitsrate bei nahezu 100 Prozent", erklärt Dr. Lindsey Edwards, Senior Lecturer in Mikrobiologie am King’s College London. Doch in den Feldkrankenhäusern der Ukraine sind solche Maßnahmen oft unmöglich. Die begrenzten Ressourcen und die fehlende Möglichkeit, Bakterienkulturen zu analysieren und gezielt Antibiotika einzusetzen, verschärfen die Situation zusätzlich. "Normalerweise würde man die Mikroben untersuchen, kultivieren und testen, welche Antibiotika am effektivsten sind… Aber all das ist in einem Feldkrankenhaus mitten im Nirgendwo nicht möglich", fügt Dr. Edwards hinzu.
Die Geschichte des Gasbrandes ist eng mit den Schrecken des Ersten Weltkriegs verbunden. Damals begünstigten die feuchten und schlammigen Bedingungen der Schützengräben sowie die durch Munition verursachten tiefen Wunden die Ausbreitung der Clostridium-Bakterien. Ohne schnelle chirurgische Eingriffe und Antibiotika verbreiteten sich die Infektionen rasant und führten zu einer hohen Sterblichkeitsrate. Mit der Einführung von Antibiotika im Zweiten Weltkrieg konnte diese tödliche Krankheit jedoch weitgehend eingedämmt werden. Heute jedoch kehrt sie zurück – begünstigt durch die Herausforderungen moderner Kriegsführung wie Drohnenangriffe, die schnelle Evakuierungen nahezu unmöglich machen.
Die Situation wird durch den Anstieg von Antibiotikaresistenzen weiter verschärft. "Wenn man es mit einem Stamm zu tun hat, der resistent gegen Antibiotika ist, wird die Behandlung viel komplizierter", warnt Dr. Edwards. In der Ukraine tragen Konfliktverletzungen, unterbrochene Gesundheitsdienste und der häufige Einsatz von Breitbandantibiotika zur Ausbreitung resistenter Bakterien bei. Hinzu kommt die Gefahr durch Drohnenangriffe: "Wenn du ins Freie trittst, wirst du von einer Drohne getötet. Das ist keine Übertreibung", berichtet Alex. Die medizinische Versorgung findet daher oft in unterirdischen Bunkern oder verlassenen Gebäuden statt – Orte, die vor Drohnenangriffen schützen sollen, aber kaum für komplexe chirurgische Eingriffe geeignet sind.
Die humanitären Folgen dieser Situation sind verheerend. Viele Verletzungen, die unter normalen Umständen überlebbar wären – etwa Amputationen oder Blutverlust – führen aufgrund der verzögerten Evakuierung zum Tod. "Wir sehen immer mehr Menschen mit Verletzungen, die eigentlich überlebbar wären – Amputationen zum Beispiel oder Fälle, in denen jemand nur eine Bluttransfusion braucht – aber sie sterben auf dem Schlachtfeld", sagt Alex. "So viele können nicht rechtzeitig evakuiert werden und schaffen es einfach nicht." Der Krieg in der Ukraine hat nicht nur das Leid der Menschen verstärkt, sondern auch längst vergessene medizinische Schrecken wieder ans Licht gebracht.
Verwendete Quellen:
Nachrichtenagentur dpa
Telegraph: Gas gangrene returns to Ukraine in echoes of First World War trench warfare
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