Schockierende Geständnisse
Russische Kindesentführungen: Kreml-Beamtin gibt Vorwürfe öffentlich zu
Veröffentlicht:
von Benedikt RammerRussland soll tausende ukrainische Kinder entführt haben.
Bild: REUTERS/Anatolii Stepanov
Rund 20.000 ukrainische Kinder soll Russland entführt haben. Marija Lwowa-Biełowa, verantwortlich für diese Taten, hat in einem russischen TV-Interview erstmals die Vorwürfe bestätigt – und ihre Taten verteidigt.
Das Wichtigste in Kürze
Russland soll nach Angaben Kiews etwa 20.000 ukrainische Kinder entführt haben; nur 1.200 konnten bisher zurückkehren.
Marija Lwowa-Biełowa hat in einem TV-Interview ihre Rolle bei der Verschleppung eines 15-jährigen Jungen eingeräumt.
Der Internationale Strafgerichtshof hat gegen sie einen Haftbefehl wegen Kindesentführung erlassen.
Die Entführung von ukrainischen Kindern durch Russland ist eines der gravierendsten Verbrechen im Ukraine-Krieg. Rund 20.000 Kinder sollen laut Angaben der Ukraine seit Kriegsbeginn aus den besetzten Gebieten nach Russland gebracht worden sein – viele von ihnen offenbar gegen ihren Willen. Eine der Hauptverantwortlichen, Marija Lwowa-Biełowa, hat nun in einem russischen TV-Interview die Vorwürfe gegen sich praktisch eingeräumt. Die Kommissarin für die Rechte von Kindern, eine Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin, wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag per Haftbefehl gesucht.
In der russischen Talkshow "Smotri i Dumai" berichtete Lwowa-Biełowa laut der Zeitung "The Kyiv Independent" über ihre Rolle bei der sogenannten "Evakuierung" von Kindern aus der Ukraine. Dabei sprach sie offen über den Fall eines 15-jährigen Jungen namens Filip, den sie aus der zerstörten Stadt Mariupol nach Russland gebracht habe – gegen dessen Willen. "Er sagte: 'Ich will nicht in Russland leben. Ich liebe die Ukraine'", schilderte sie. Sie habe ihm daraufhin geantwortet: "Hör zu, du lebst jetzt in Russland und musst deine Einstellung ändern."
Umerziehung ukrainischer Kinder
In dem Interview räumte Lwowa-Biełowa ein, dass Filip zu Beginn seiner Zeit in Russland weiterhin ukrainische Webseiten gelesen und Lieder aus seiner Heimat gesungen habe. Doch sie habe ihm klar gemacht, dass er seine Haltung ändern müsse. "Seitdem versuchen wir es Schritt für Schritt", erklärte sie. Der sogenannte "Wendepunkt" sei gekommen, als Filip sich an die neue Umgebung angepasst habe, so Lwowa-Biełowa. Die Umerziehung ukrainischer Kinder ist eine zentrale Strategie des Kremls, um die ukrainische Identität auszulöschen und Kinder zu russischen Staatsbürger:innen zu machen.
Die Aussagen Lwowa-Biełowas werfen ein neues Licht auf den Vorwurf des Internationalen Strafgerichtshofs, der sie wegen Kindesentführung und Umerziehung sucht. Laut "Kyiv Independent" bestätigte sie während des Interviews zudem, dass Russland rund 20.000 Kinder aus der Ukraine "geholt" habe – eine Zahl, die mit den Vorwürfen Kiews übereinstimmt. Bislang konnten erst etwa 1.200 Kinder nach Angaben der Ukraine zurückgebracht werden.
Haftbefehl und russische Propaganda
Marija Lwowa-Biełowa wurde im Oktober 2021 von Wladimir Putin zur Kommissarin für die Rechte von Kindern ernannt. Die 40-jährige Musikpädagogin hat selbst fünf eigene und vier adoptierte Kinder und gab an, zudem die Vormundschaft für 13 Kinder mit Behinderung übernommen zu haben. Sie ist Mitglied der Putin-Partei "Einiges Russland" und unterhält enge Verbindungen zur russisch-orthodoxen Kirche.
Im März 2023 stellte der Internationale Strafgerichtshof einen Haftbefehl gegen Lwowa-Biełowa aus. In der Talkshow sprach sie auch über diesen Haftbefehl: "Sie verbreiten diesen Mythos, dass wir Kinder gegen ihren Willen mitnehmen, zu russischen Patrioten umerziehen und dann an die Front schicken", behauptete sie abwehrend. Dennoch räumte sie ein, dass der Fall des entführten Jungen Filip wohl einer der Gründe für den Haftbefehl sei.
Die Ukraine fordert Gerechtigkeit
Für die Ukraine hat die Rückführung der entführten Kinder höchste Priorität – auch in möglichen Friedensgesprächen mit Russland. Die systematische Verschleppung und Umerziehung der Kinder wird als Teil einer Strategie des Kremls gesehen, die ukrainische Identität auszulöschen und die Menschen in den besetzten Gebieten zum Russischsein zu zwingen.
Die Aussagen von Marija Lwowa-Biełowa verdeutlichen das Ausmaß des mutmaßlichen Verbrechens und könnten als Beweismittel vor dem Internationalen Strafgerichtshof herangezogen werden. Ob es jedoch jemals zu einer juristischen Aufarbeitung ihrer Handlungen kommen wird, bleibt fraglich – so lange sie sich auf russischem Boden befindet, ist eine Festnahme unwahrscheinlich.
Verwendete Quellen:
The Kyiv Independent: "Russia’s children’s commissioner shamelessly describes kidnapping a Ukrainian child"
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