"Hart aber fair"
Beim Thema "Shrinkflation" platzt Jan van Aken der Kragen: "Das ist Beschiss!"
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von Doris Neubauer20. Oktober 2025: Zu Gast bei "Hart aber fair": Linken-Parteivorsitzender Jan van Aken
Bild: WDR/Dirk Borm
Um 37 Prozent sind die Lebensmittelpreise seit 2019 gestiegen, 30 Prozent allein in 2024: "Was tun gegen die steigenden Preise?", fragte Louis Klamroth auf dem Parkplatz vor dem Discounter, im Supermarkt und seine Gäste im Studio. "Irgendetwas muss passieren", sind sich alle einig ... nur was?
Es war ein Umsatzrekord: Im Jahr 2023 knackte der Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland die Marke von 200 Milliarden Euro im Jahr. Doch von "goldenen Zeiten für Supermärkte" könne keine Rede sein, betonte Stefan Genth (Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland). "Die Konsumlaune ist seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Keller und hat sich nicht erholt", meinte er in der TV-Talkshow "Hart aber fair". Inflationsbereinigt hätte der Lebensmitteleinzelhandel in den letzten drei Jahren ein Nullwachstum erzielt.
Es müsse dringend gehandelt werden, appellierte er an die Politik: "Nur die Industrie und die Landwirtschaft haben die Stromsteuer bekommen, der Handel kriegt keine Stromsteuerabsenkung", machte er angesichts einer Verdreifachung der Energiekosten auf 700 Millionen Euro aus seiner Enttäuschung keinen Hehl. Schließlich hätte die Union die Absenkung nicht nur im Wahlkampf versprochen, diese stünde als erste direkte Maßnahme im Koalitionsvertrag. Dementsprechend hätte jeder damit gerechnet. Das Senken der Stromsteuer hätte sich "in logischer Folge" auf die Lebensmittelpreise und damit auf die Verbraucher:innen ausgewirkt. Eine Entspannung erwarte er sich zwar auch durch die Senkung der Stromkosten in der Landwirtschaft, gab allerdings zu bedenken: "Auf den Sockel von 2020 gehen sie nicht zurück."
Ob Kanzler Friedrich Merz und die Union die Stromsteuer "weggeschlabbert" hätten, wollte Louis Klamroth von Ralph Brinkhaus wissen und verwendete dabei einen Begriff, den der CDU-Politiker ein paar Minuten zuvor selbst geprägt hatte. Auch jetzt gab sich dieser überraschend selbstkritisch: Die Entscheidung hätte Mütterrente oder Stromsteuer gelautet, verriet er - "ehrlicherweise, trotz meiner hohen Wertschätzung für Mütter" hätte er sich anders entschieden. Denn mit der "Alternative habe ich einen besseren Effekt für die Wirtschaft - und für Leute wie Sie, Frau Kuschel", richtete er sich an die Influencerin Jennifer Kuschel, die mit "broke Gerichten" auf Social Media zeigt, wie man mit wenig Geld eine Familie ernähren kann.
Van Aken wettert gegen "Shrinkflation" bei Schokolade
Als "Schnäppchen- und Angebotsjäger" outete sich auch Linken-Chef Jan van Aken. Erst an diesem Morgen hätte er sich 15 Tafeln Schokolade um 1.11 Euro gekauft, hatte er mit diesem Geständnis die Lacher auf seiner Seite - "Ja, Sie lachen, aber Schokolade für 1.99 Euro kann ich mir nicht leisten", meinte er.
Durch gestiegene Rohstoffpreise und Missernten ließen sich die enormen Preissteigerungen bei Kakao und Schokolade (plus 59 Prozent seit 2019) nicht erklären. "Für eine 100 g Tafel wären das 18 Cent und nicht 50", rechnete er vor. Dennoch hatte der Konzern Mondelez zuerst den Preis einer 100 g Tafel Milka-Schokolade von 1.49 Euro auf 1.99 Euro erhöht, um kurz darauf die Menge auf 90 g zu reduzieren: "Das ist Beschiss", ärgerte er sich und forderte von den "vier großen Firmen, die 80 Prozent des Handels kontrollierten", sich gegen diese "Shrinkflation" zu wehren.
Die Groupe Carrefour hätte das in Frankreich getan, fügte die selbsternannte "Klugscheißerin für Lebensmittel und Ernährung" Britta Schautz von der Verbraucherzentrale Berlin hinzu. Auch eine zentrale Preisbeobachtungsstelle nach französischem oder Schweizer Vorbild sei in ihrem Sinn, denn die "Preise sind in Deutschland eine Blackbox. Wir kennen die Erzeugerpreise und den Preis am Regal, aber was dazwischen ist, wissen wir nicht. Ich glaube aber, das sollten wir wissen."
Diese Transparenz gäbe es bereits, lehnte Genth den Vorschlag ab. Zudem hätte der Handel in der Vergangenheit Preissteigerungen durch die Hersteller abgelehnt, verwies er auf leere Regale. Viel Einfluss hätten Händler:innen aufgrund der geringen Margen von 1 bis 3 Prozent aber nicht, zudem wäre der Wettbewerb hoch: "Wenn der Kunde die Produkte nicht mehr im Regal sieht, dann geht er woanders hin."
"Um Herrn Lidl (Anm.: Dieter Schwarz, Gründer von Lidl und Kaufland) mache ich mir mit einem Vermögen von 46,5 Milliarden Euro keine Sorgen", ätzte van Aken, "ich mache mir um die Sorgen, die sich oft genug entschieden müssen: warme Wohnung oder warme Mahlzeit?" Denn nicht nur die Preise für Lebensmitteln, sondern auch die Energiekosten seien in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt: "5.3 Millionen Menschen in Deutschland, die frieren - in Deutschland, das darf nicht sein", echauffierte er sich.
Um Betroffenen direkt zu helfen, schlug Mark Schieritz (Wirtschaftsjournalist bei der "Zeit") Beihilfen als kurzfristige Lösung vor. Bei einem Aussetzen der Mehrwertsteuer, was sowohl die Linke wie auch CSU-Chef Markus Söder gefordert hatten, gäbe es hingegen zu viele Streuverluste.
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