Anschlag auf Weihnachtsmarkt

Todesfahrer von Magdeburg gesteht bei Prozess: "Ich bin derjenige, der das Auto gefahren hat"

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von dpa

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Video: Magdeburg - Mammutprozess gegen Taleb A.

Videoclip • 03:22 Min • Ab 12


Es ist eines der größten Gerichtsverfahren der Nachkriegsgeschichte: Der Todesfahrer muss sich für den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt verantworten. Alle Infos zum Prozess.

Der Todesfahrer von Magdeburg hat im Prozess zum Weihnachtsmarkt-Anschlag zugegeben, am Steuer gesessen zu haben. "Ich bin derjenige, der das Auto gefahren hat", sagte Taleb A. vor dem Landgericht Magdeburg. Weitere konkrete Angaben machte er zunächst nicht. Es gab keine Entschuldigung, kein Zeichen der Reue.

Stattdessen äußerte sich der 51 Jahre alte Angeklagte mit weinerlicher Stimme und Taschentuch vor dem Gesicht zu vermeintlichen Vertuschungen der Polizei und kritisierte Medien. Erneut hielt er seinen Laptop hoch, wo "Sept. 2026" zu lesen war. "Da ist die nächste politische Wahl in Sachsen-Anhalt", erklärte der aus Saudi-Arabien stammende Mann, der als Islamkritiker bekannt ist. Am 6. September 2026 wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt.

Richter ermahnt Angeklagten

Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg versuchte derartigen politischen Erklärungen Einhalt zu gebieten. Er ermahnte den Angeklagten, sich zur Sache zu äußern. Betroffene der Todesfahrt, die als Nebenkläger zum Prozessauftakt erschienen waren, blickten teils fassungslos. Manche wendeten sich ab, andere schüttelten die Köpfe.

A. war am 20. Dezember 2024 mit einem mehr als zwei Tonnen schweren Mietwagen auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast. Sechs Menschen starben, mehr als 300 wurden verletzt. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg wirft ihm unter anderem vollendeten Mord in sechs Fällen und versuchten Mord in 338 weiteren Fällen vor.

Was in der Anklage steht

Die Anklage: "Zielgerichtet" sei Taleb A. mit einem mehr als zwei Tonnen schweren Auto am 20. Dezember 2024 in die Menschenmenge gefahren, sagte Oberstaatsanwalt Matthias Böttcher vor dem Landgericht Magdeburg. Der 51 Jahre Angeklagte verfolgte die Verlesung äußerlich regungslos.

Aus einer "vermeintlich persönlichen Frustration" heraus sei es dem Beschuldigten darum gegangen, eine "möglichst große Menge von Personen" zu erfassen und damit die "von ihm gewünschte Aufmerksamkeit zu erlangen", erklärte Böttcher.

Die Anklage umfasst laut Generalstaatsanwaltschaft Naumburg 206 Seiten. Diese wurden aber nicht alle im Prozess verlesen.

Prozess kurz vor Beginn unterbrochen

Noch vor der Verlesung der Anklage war der Prozess unterbrochen worden. Hintergrund der Pause etwa eine dreiviertel Stunde nach Beginn der Verhandlung waren zwei Anträge der Verteidigung.

Darin bemängelt der Anwalt des Angeklagten Taleb A. vor allem, dass sein Mandant während des Prozesses aus Sicherheitsgründen in einer Glasbox sitzen muss. Dies sei unverhältnismäßig, kritisiert Thomas Rutkowski.

Hohe Sicherheitsvorkehrungen

Der Angeklagte wurde mit einem Hubschrauber aus der Haftanstalt Burg zum Prozess gebracht. Maskierte Justizbeamte führten den 51-Jährigen in den Saal und sitzen neben ihm in der Box. Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg begründet die Sicherheitsmaßnahmen unter anderem damit, dass der Angeklagte so auch vor möglichen Racheakten geschützt werden soll.

Der Vorsitzende Richter Dirk Sternberg begründet die Sicherheitsmaßnahmen unter anderem damit, dass der Angeklagte so auch vor möglichen Racheakten geschützt werden soll.

Die Tat - Eine Minute und vier Sekunden

Am 20. Dezember 2024 fährt der damals 50 Jahre alte Taleb A. mit einem 340 PS starken Mietwagen über den Magdeburger Weihnachtsmarkt. Seine Fahrt dauert laut Generalstaatsanwaltschaft Naumburg eine Minute und vier Sekunden. Mit bis zu 48 Kilometern pro Stunde ist er zwischen Marktbuden unterwegs, Tempo 27 wurde als Durchschnittsgeschwindigkeit ermittelt.

Der Täter konnte zwischen einer Fußgängerampel und einer Betonblocksperre auf den Weihnachtsmarkt gelangen. Die fehlerhaft positionierten Betonblöcke und die ungesicherten Lücken spielen später in der Aufarbeitung in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eine wichtige Rolle. Gleich nach der Tat wird A. festgenommen und kommt in U-Haft. Gutachten zeigen später, dass er nicht unter Einfluss von Alkohol oder Drogen stand.

Die Opfer

Bei dem Anschlag werden sechs Menschen getötet: fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren sowie ein neunjähriger Junge. Zudem werden mehr als 300 Menschen verletzt oder traumatisiert. Sie kommen nicht nur aus Sachsen-Anhalt. Unter den Betroffenen des Anschlags sind nach Angaben des Bundesopferbeauftragten Menschen aus fast allen Bundesländern. Einige kommen auch aus dem Ausland wie etwa Spanien, USA und Großbritannien.

Rund 180 Betroffene und Hinterbliebene treten als Nebenkläger:innen auf, vertreten durch etwa 40 Anwälte. Es ist eines der größten Verfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte. So können sie etwa Fragen stellen und am Ende auch einen Strafantrag stellen. Die Nebenkläger:innen können zu den Verhandlungstagen kommen, sie müssen es aber nicht.

Der Angeklagte

Taleb A. stammt aus Saudi-Arabien. Vor der Todesfahrt war er im Maßregelvollzug in Bernburg (Salzlandkreis) als Arzt tätig. Sein Aufgabengebiet umfasste die psychiatrische Betreuung von Straftäter:innen auf drei Stationen. Anfang Februar war bekanntgeworden, dass sich ein Kollege ein paar Monate vor dem Anschlag Sorgen um die Verfassung von A. machte und diese Hinweise auch an Vorgesetzte weitergab.

Auch mehrere Sicherheitsbehörden befassten sich immer wieder mit dem Angeklagten - er war aber als Gegner von Islamisten letztlich durch alle Raster gefallen.

Nach Deutschland war A. im Jahr 2006 gekommen, um hier die Facharztausbildung zu absolvieren. Nach seiner Ausbildung beantragte er im Februar 2016 Asyl und erhielt im Juli desselben Jahres Asyl als politisch Verfolgter.

Der Prozess 

Das Landgericht Magdeburg hat bis zum 12. März 2026 zunächst knapp 50 Verhandlungstage angesetzt. Die Kammer um den Vorsitzenden Richter Dirk Sternberg verhandelt zwei bis drei Tage pro Woche, mit einer Pause um den Jahreswechsel. Weitere Termine sind möglich.

Zwischenzeitlich stand noch infrage, ob tatsächlich das Landgericht zuständig sein würde. Es legte das Verfahren zunächst dem Generalbundesanwalt in Karlsruhe zur Strafverfolgung vor, da es der Überzeugung war, dass es sich um ein Staatsschutzverfahren handelt. Anfang Oktober lehnte der Generalbundesanwalt die Übernahme jedoch ab. Die Behörde geht davon aus, dass der Beschuldigte "aus persönlicher Frustration" gehandelt hat.

Das Gerichtsgebäude

Für den Prozess ist ein spezielles Interims-Gerichtsgebäude in Leichtbauweise errichtet worden – allen Betroffenen soll so Gelegenheit gegeben werden, das Verfahren persönlich zu verfolgen. Die Dimension ist riesig: Der Verhandlungssaal ist 65 Meter lang und 30 Meter breit. Er bietet Platz für etwa 450 Nebenkläger:innen und Nebenklagevertreter:innen und hat 200 Plätze für Zuschauer:innen und Medienvertreter:innen. Das Land Sachsen-Anhalt mietet das Gebäude für die Prozessdauer und rechnet mit Kosten im mittleren einstelligen Millionenbereich.

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