Wirtschaftsministerin
Reiche will "Agenda 2030" – mehr Wettbewerb und weniger Staat
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von dpaDie Büste Ludwig Erhards ist wieder da - hier hinter Katherina Reiche zu sehen.
Bild: Carsten Koall/dpa
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche warnt, Deutschland drohe den Anschluss zu verpassen. Die CDU-Politikerin fordert, Reformen auch gegen Widerstände durchzusetzen.
Das Wichtigste in Kürze
Mit einer "Agenda 2030" will Wirtschaftsministerin Katherina Reiche die deutsche Wirtschaft wieder auf Kurs bringen.
Ein umfassendes "Fitnessprogramm" soll weniger Staat und dafür mehr Wettbewerb enthalten.
Symbolisch: Die Büste Ludwig Erhards, der für die Soziale Marktwirtschaft stand, war neben Reiche platziert.
Im Zeichen Ludwig Erhards: Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche schlägt angesichts der langen Wachstumsschwäche eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik vor. Die CDU-Politikerin sprach von einer "Agenda 2030". "Die Lage ist ernst, wirtschaftspolitisch ebenso wie sicherheitspolitisch", sagte Reiche in einer Grundsatzrede in Berlin. Deutschland drohe international den Anschluss zu verpassen und brauche ein umfassendes "Fitnessprogramm" - nach dem Prinzip: mehr Wettbewerb, weniger Staat.
Im Geiste Erhards
Reiche hielt ihre Rede auf einem Symposium ihres Ministeriums zur Sozialen Marktwirtschaft. Dabei wurde von den Leihgebern eine Ludwig-Erhard-Büste ans Ministerium zurückgegeben. Die Büste stand jahrelang im Foyer des Ministeriums. Dann wurde sie vor zwei Jahren entfernt – aus Protest gegen die Politik des damaligen Ministers Robert Habeck (Grüne).
Der legendäre Erhard, Wirtschaftsminister von 1949 bis 1963, steht wie kein anderer für das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg, verbunden mit "Wohlstand für alle" und dem Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Reiche will nun eine zeitgemäße Ordnungspolitik.
Staat soll sich zurückziehen
"Damit der Staat Handlungsfähigkeit zurückgewinnt, muss er sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren", sagte Reiche. Dazu zählten innere und äußere Sicherheit, Infrastruktur und Bildung. "Subventionen und Förderprogramme müssen hingegen rigoros überprüft, Fehlanreize auch unter Schmerzen abgebaut werden." Reiches Ideen stehen damit der Subventionspolitik Robert Habecks entgegen, der einzelne Konzerne etwa bei Halbleitern oder Batterien unterstützte.
In diesem Zusammenhang deutete die Ministerin Einschnitte bei der Heizungsförderung an. Beim Heizungstausch werde künftig mehr Eigenverantwortung gefragt sein. Sie bekräftigte ihr Ziel, in der Energiepolitik insgesamt die Kosten zu senken und sie marktwirtschaftlicher auszurichten. Dazu gehöre, dass Fördermaßnahmen effizienter ausgerichtet und im Zweifel auch stärker zugeschnitten werden sollten auf die Fälle, bei denen es tatsächlich auf die Förderung ankomme.
Große Umbrüche
Die Wirtschaftsministerin sprach in ihrer Rede mit Blick auf geopolitische Veränderungen und tiefgreifenden technologischen Veränderungen von radikalen Umbrüchen. Gemeint ist zum einen der wirtschaftliche Aufstieg Chinas und die Abhängigkeiten von Rohstoffen, zum anderen der Kurs der USA mit höheren Zöllen oder die Folgen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine.
Nach zwei Jahren in der Rezession wird für die deutsche Wirtschaft für das laufende Jahr eine Stagnation erwartet, im kommenden Jahr soll es leicht bergauf gehen. Reiche sagte aber, Deutschland kämpfe mit zahlreichen hausgemachten Standortproblemen und drohe international den Anschluss zu verpassen. Sie wählte große Worte: Es gehe um Erhalt von Wohlstand und um den Schutz von Freiheit und der Demokratie.
Reiche sieht Chance für wirtschaftliches Comeback
Die Ministerin sieht Deutschland in einer strukturellen Krise, wie es sie in der Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft noch nicht gegeben habe. Auch Wirtschaftsverbände beklagen seit langem Probleme wie im internationalen Vergleich hohe Energiepreise, steigende Sozialabgaben und zu viel Bürokratie.
Deutschland habe die Voraussetzungen für ein wirtschaftliches Comeback, sagte Reiche. Sie schlägt eine "Agenda für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit" vor. Regulierung müsse zurückgefahren werden. "Die staatliche Steuerung bis ins kleinste Detail muss ein Ende haben." Für Firmen müssten mehr Freiräume geschaffen werden. Leitlinie sei die Rückbesinnung auf mehr wirtschaftliche Freiheit und Eigenverantwortung.
Der Staat könne die Bürgerinnen und Bürger und vor allem die Unternehmen nicht vor allen Risiken schützen. Die Verwaltung müsse digitaler werden. Künstliche Intelligenz müsse als Chance für Wachstum begriffen werden. Es gehe um eine innovationsfreundliche Regulierung, auch beim Datenschutz. In der Energiepolitik müssten Kosten gesenkt werden.
Mut zu Sozialreformen
Reiche bekräftigte die Notwendigkeit von Reformen des Sozialstaats. Sie sprach sich erneut für eine längere Lebensarbeitszeit aus - dafür war sie bereits kritisiert worden. Zudem müsse man fragen, ob mit der Lohnfortzahlung ab dem ersten Krankheitstag falsche Anreize gesetzt werden. Reiche sagte, es brauche mehr Reformen, um das Arbeiten im Alter gegenüber einem frühzeitigen Eintritt in den Ruhestand attraktiver zu gestalten.
Man müsse den Mut haben, Reformen umzusetzen, auch gegen Widerstände, sagte Reiche. Ob und welche tiefgreifenden Reformen etwa bei der Rente und der Pflege geben soll, ist in der schwarz-roten Koalition umstritten.
Vorbild "Agenda 2010"?
Die Ministerin nahm auch Bezug zur "Agenda 2010". Mit dieser sei eine neue Dynamik erlangt worden, sagte Reiche. "Wenn es darauf ankommt, sind Veränderungen in diesem Land möglich." Mit der "Agenda 2010" setzte vor zwanzig Jahren der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) tiefgreifende Reformen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik durch. Diese waren allerdings heftig umstritten.
Reiche ist seit Mai im Amt. Sie war lange Bundestagsabgeordnete und wechselte dann in die Wirtschaft. Vor ihrer Ernennung zur Ministerin war sie Energiemanagerin.
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