"Hart aber fair" zum Thema Demenz

Andrea Sawatzki wird in ARD-Talk deutlich: "Eine Verantwortungslosigkeit, die mich fassungslos macht"

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von Doris Neubauer

Die Schauspielerin und Schriftstellerin Andrea Sawatzki hat ihren an Demenz erkrankten Vater jahrelang gepflegt.

Bild: WDR/ Dirk Borm


Nach der ARD-Doku "Hirschhausen und das große Vergessen" diskutierten am Montagabend bei "Hart aber fair" Betroffene, Angehörige und Expert:innen über Demenz, das damit verbundene Stigma, die Rolle des Pflegesystems - und die große Kunst, im Hier und Jetzt zu leben.

Das Wichtigste in Kürze

  • Mindestens 1,8 Millionen Menschen in Deutschland sind an Demenz erkrankt.

  • Am Montagabend wurde bei "Hart aber fair" emotional über das Thema diskutiert.

  • Schauspielerin und Schriftstellerin Andrea Sawatzki sparte dabei nicht mit Systemkritik.

Mindestens 1.8 Millionen Menschen leben in Deutschland mit Demenz. Auch der frisch pensionierte Banker Rainer Heydenreich erhielt vor vier Jahren die Diagnose Alzheimer. Statt sich wie viele seiner guten Bekannten zurückzuziehen, reagierte der 75-Jährige anders: "Ich zeige es euch, ich gehe in die Offensive", zeigte er sich am Montagabend bei "Hart aber fair" zum Thema "Notfall Pflege - wer sorgt für ein Altern in Würde?" kampfeslustig. Es ginge darum, dieses "verdammte Stigma" abzubauen, denn: "Ich habe mich nie geschämt, dement zu sein."

Angst vor der Zukunft hätte er nicht. Er lebe im "Hier und Jetzt" - notgedrungen, schließlich hat er nicht nur die Hochzeiten seiner drei von vier Söhnen aufgrund der Krankheit vergessen. Eine schmerzhafte Tatsache, die er mittlerweile mit Humor nimmt: "Ich habe mir meine Lebensqualität gut zurückgeholt. Es macht so einen Spaß, unterschätzt zu werden, das kann ich in Worten gar nicht beschreiben", sorgte er für Lacher und Applaus aus dem Publikum.

"Hier werden Sie nicht unterschätzt, ich habe Sie schon kennengelernt", war Klamroth sichtlich beeindruckt - und das lag vermutlich nicht nur am energischen Händedruck des 75-Jährigen, der ihm vor Sendungsbeginn aufgefallen war.

Andrea Sawatzki: "Es ist skandalös, wie es hier in Deutschland zugeht"

"So eine Diagnose haut einen erstmal um. Danach in die Offensive zu gehen, das gelingt nicht jedem und nicht vielen", zollte ihm auch Bernd Meurer (Präsident Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste) seinen Respekt. 70 Prozent aller Menschen, die in einem seiner Heime leben, seien mehr oder weniger stark von Demenz betroffen. Dementsprechend seien viele Heime auf diese Erkrankung eingestellt: Vom Leben in Kleingruppen, Personalschulungen und -sensibilisierungen - "das geschieht alles", meinte er ohne die Situation schön malen zu wollen: Solche Ansätze seien gut, man müsse aber auch Mitarbeiter:innen und Fachkräfte dafür finden: "Da dran hapert es", kritisierte er, "wenn sie überlastet sind, dann kollabieren solche Konzepte."

Letzteres erlebte auch Schauspielerin und Schriftstellerin Andrea Sawatzki, deren demenzerkrankte Mutter vier Jahre lang bis zu ihrem Tod in einem Pflegeheim lebte und dort sogar sediert wurde. "Es ist skandalös, wie es hier in Deutschland zugeht", empörte sie sich. Da würden Einwegwindeln nochmals benutzt, wenn nur 12 Liter Urin drin sei, und Patient:innen zu füttern vergessen.

Profit mit Gesundheit der Menschen: Linken-Politikerin klagt an

Dass seit 30 Jahren konstant etwa 85 Prozent aller Pflegebedürftigen Zuhause in ihren Familien betreut werden, wie Karl-Josef Laumann (CDU-Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen) betonte - sei nur ein schwacher Trost: Die pflegenden Angehörigen seien überfordert, verzweifelt und hätten Gedanken: "Wie kann ich das beenden", sprach Sawatzi auch hier aus Erfahrung. Schließlich hatte sie als 12-Jährige bereits ihren ebenfalls demenzkranken Vater versorgt. "Dass pflegende Menschen zu diesen Gedanken getrieben werden, ist eine Verantwortungslosigkeit, die mich fassungslos macht", musste sie ihren Frust und Ärger sichtlich loswerden.

"Bei mir rennen Sie Türen ein", erklärte Stella Merendino von den Linken. "Aber wenn jemand wie Meurer kassiert und Laumann kürzt, dann braucht man sich nicht wundern, dass das System nicht funktioniert", hatte die Krankenschwester schnell Sündenböcke gefunden. Das System werde systematisch gegen die Wand gefahren, solange jemand mit der Gesundheit von Menschen Profit mache.

"Dass ich der bin, der kassiert, verbitte ich mir ausdrücklich", ließ Meurer solche "linken Parolen" nicht auf sich sitzen. "Das ist schon grenzwertig, was hier diskutiert wird", sprach Heydenreich aus, was so einige dachten. Da sei es schon ein Privileg, dement zu sein.

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